Indische Nachbarschaftsparlamente

Aus der Überzeugung, dass die Machtlosigkeit der einfachen Menschen der Entwicklung der Welt zum Positiven im Weg steht, forciert Father Edwin M. John seit Ende der 80er Jahre den Aufbau von Nachbarschaftskreisen, beginnend im indischen Bundestaat Kerala; heute gibt es fast 400.000 kleine, auf Nachbarschaft basierende Mitbestimmungseinheiten in Indien, der Ansatz verbreitet sich über die ganze Welt. (https://ncnworld.org/)

Mit den Nachbarschaftsparlamenten wird den Menschen Macht gegeben, Macht im Sinne eines wirksamen Mitspracherechts. Dabei geht es aber nicht nur darum die Meinung sagen zu dürfen, der Beitrag der Menschen muss wichtig genommen werden, Wirkung zeigen, zur Ausführung kommen, erst dann haben die Menschen Macht. (John, 2021, S.12) Die Nachbarschaftsparlamente bieten den Menschen das Forum gehört zu werden und da es im Kreis der Nachbarschaft um die täglichen, unmittelbaren Probleme geht, ist jede/r betroffen und kompetent mitzureden, sind viele Probleme selbst gemeinsam lösbar.

Die repräsentative Demokratie leidet unter der Distanz zwischen den gewählten Repräsentanten und der Bevölkerung, 183 Abgeordnete für 9 Mio. Menschen in Österreich (wie sieht das Verhältnis erst in Indien aus?). Die Lösung der Nachbarschaftsparlamente bestünde darin, dass sich diese um die Nachbarschaftsangelegenheiten kümmern, Delegierte auf eine übergeordnete Selbstbestimmungsebene entsenden, die sich mit nächst übergeordneten Angelegenheiten befassen, diese entsenden auf die nächste Ebene, welche sich wiederum nächst übergeordneten Angelegenheiten annimmt und so fort. Die zu lösenden Fragen werden, sofern nicht selbst bewältigbar, nach oben weiterdelegiert (Subsidiaritätsprinzip von unten gesteuert).

Diese Mehrstufigkeit erlaubt es die Mitspracheforen auf das rechte Maß zu verkleinern, so dass sie klein genug sind, dass jeder von Angesicht zu Angesicht im Kreis sitzen kann, ohne dass jemand hinter jemand anderem sitzt, und ohne Mikrofon sprechen kann. Und groß genug, dass die Gruppe auch bei vorübergehenden Abwesenheiten noch die erforderlichen regelmäßigen Sitzungen abhalten kann. So wird ein 30-Familien-Forum als am praktischsten gesehen. „In einem solchen Forum hat jede/r eine Stimme und wird gehört. Und anders als in Mega-Versammlungen wird hier auch jede/r gesehen! So bekommt jede/r ein Gesicht. Er oder sie wird mehr als eine Nummer in einer gesichtslosen Menge sein. Jede/r wird Aufmerksamkeit bekommen. Die Tränen aller werden zur Kenntnis genommen und beantwortet. Jede/r kann anerkannt und gefeiert werden. Jede/r wird jemand sein und niemand wird ein Nicht-Mensch sein. Jede/r wird ernst genommen und niemandes Problem wird zu klein sein, als dass das Forum darauf reagieren könnte. Jede/r wird auch ein Zugehörigkeitsgefühl haben. Und wie Mahatma Mohandas Gandhi, der Vater der Nation, sagen würde: Man kann eine Gemeinschaft von Angesicht zu Angesicht nicht lange täuschen.“ (John, 2021, S.20f)
Indem die Foren in der Nachbarschaft angesiedelt werden, dort wo die Menschen wohnen/leben, bekommt jede/r eine wirksame Stimme. Die nachbarschaftliche Organisation aller Beteiligten in kleinen Foren, durch einen Prozess der Nachbarschaftsbildung, stellt sicher, dass alle einbezogen und niemand außen vorgelassen wird.

Funktionen

Die Nachbarschaftsparlamente geben den Menschen nicht nur eine effektive Stimme, in ihren kleinen Nachbarschaftsvierteln und über die Mehrstufigkeit darüber hinaus. Sie sind auch Orte der Umsetzung.

Vertretung nach oben

Es wird als unzureichend gesehen, dass die Menschen in nur einem kleinen Viertel effektiv ihre Stimme haben. Sie sollten auch auf immer breiteren Ebenen der politischen Entscheidungsfindung wirksam mitreden können. Die Lösung ist die mehrstufige Föderation dieser Nachbarschaftsparlamente. Nachbarschaftsparlamente sollten zu Bezirksparlamenten, Panchayatparlamenten, Mandalparlamenten, Bezirksparlamenten, Landesparlamenten, nationalen Parlamenten, internationalen Regionalparlamenten und dem Weltparlament zusammengeschlossen werden.
Vertreter:innen, die auf einer Ebene des Parlaments gewählt werden, sollten das Parlament auf der unmittelbar darüber liegenden Ebene bilden. (John, 2021, S.21)

Ministerien für spezifische Anliegen

Auf jeder Ebene der Parlamente soll eine Art Kabinett, eine Regierung mit den erforderlichen Minister:innen, bestellt sein.
Dies sollte in der Nachbarschaft mit Minister:innen für Anliegen beginnen, die die Nachbarschaft betreffen, wie zum Beispiel jeweils einer Nachbarschaftsminister:in für Gesundheit, Sauberkeit, Kinderfürsorge, Marketing, Ersparnisse, Einkommensgenerierung usw. (John, 2021, S.22)

Für das nachhaltige Bestehen des Nachbarschaftsparlaments ist der Zusammenhalt der Nachbarschaft von zentraler Bedeutung. Diese entsteht über die gemeinsame Arbeit an relevanten Aufgabenstellungen (siehe Prinzip Konvergenz unten). Diese Aufgaben können zur Förderung der Entwicklung der Nachbarschaftsparlamente von außen hereingetragen werden. Ein Weg kann darin bestehen, dass je eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) in den Nachbarschaftsparlamenten von einem Mitglied verfolgt wird.

Eine interessante Konstruktion findet sich bei den entwickelten, in Schulen verorteten Kinderparlamenten. Diese bestehen aus Parlamenten von 30 Kindern/Jugendlichen, wobei jedes Mitglied Minister:in für ein Themenfeld (zB ein SDG) ist. Die Kinderparlamente treffen sich einmal die Woche, wobei sich eine Woche das Kinderparlament in seiner ursprünglichen Formation trifft, die nächste Woche in der Zusammensetzung, dass sich alle Aufgaben gleichen Mitglieder zusammenfinden. Und so fort. (John, 2021, S.50).

Fünf Prinzipien

Das System der Nachbarschaftsparlamente beruht auf fünf Prinzipien. (John, 2021, S.23ff)

Geringe Größe

Für alle Mitbestimmungsebenen, nicht nur an der Basis, gilt, dass die Zahl der Mitglieder geringgehalten wird, um sie als kleines persönliches Forum zu erhalten, in dem sich die Mitglieder von Angesicht zu Angesicht begegnen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass auf jeder Ebene die letzte und geringste Stimme zählt und kein einziges Mitglied auf der jeweiligen Ebene ein „Niemand“ ist. Als praktikable Größe wird mit 30 Mitgliedern gearbeitet.
In die Nachbarschaftsparlamente entsenden benachbarte Familien jeweils eine Vertretung, das ermöglich auch bei 30 Mitgliedern im Parlament die Verbindung größerer Gemeinschaften.

Numerische Einheitlichkeit

Dieses Prinzip bestimmt, dass die Mitgliederzahl des Parlaments jeder Ebene gleich, entsprechend dem Prinzip der geringen Größe, klein sind. Die 30 Mitglieder auf der ersten Ebene entsenden je eine Vertretung in die zweite Ebene, wo wieder 30 Entsandte ein Parlament bilden.
Das Prinzip hat zur Folge, dass nicht zB nationale Gegebenheiten die Größe der Zusammenschlüsse (Bezirk, Staat, Nation) definieren. Entsprechend dem Prinzip der numerischen Einheitlichkeit haben die Bezirke, Staaten, Nationen alle eine zahlenmäßig einheitliche Bevölkerung. „Nationalistischer Chauvinismus, Expansionismus usw. werden der Vergangenheit angehören.“ (John, 2021, S.23)

Abberufungsmöglichkeit

Die geringe Größe der Parlamente erlaubt es, dass die Wahlvorgänge für die Vertretung in die nächsthöhere Ebene ohne großen Aufwand jederzeit durchgeführt werden können. An jedem Tag, an dem die im jeweiligen Parlament verbundene Gemeinschaft mit der Leistung einer Vertretung, die sie auf die direkt darüber liegende Ebene gewählt hat, nicht zufrieden ist, kann sie sich zusammenfinden und beschließen, die Vertretung abzurufen und stattdessen jemand anderen zu schicken.

Wenn man von jeder Ebene aus, jeden Tag eine gewählte Vertretung auf die unmittelbar darunter liegende Ebene zurückrufen kann, „liegen die Machtbefugnisse letztendlich in den Händen der Menschen an der Basis, die Tag für Tag tätig sind. Dies bedeutet, dass ihre Probleme der Ungleichheit, Armut, Demütigung usw. angemessen angegangen werden. Es wird tatsächlich eine Regierung des Volkes sein, durch das Volk und für das Volk.“ (John, 2021, S.25)

Subsidiarität

Dieses Prinzip verpflichtet auf der niedrigst möglichen Ebene zu handeln. Die höheren Ebenen sollen sich nur mit solchen Angelegenheiten befassen, die aufgrund der Notwendigkeit der Wirkungs- und Ressourcenkoordinierung von keiner niedrigeren Ebene bearbeitet werden können.

Folgt man diesem Prinzip, müssen die meisten Arbeiten auf der niedrigst möglichen Ebene durchgeführt werden, das heißt auf der Ebene der Nachbarschaftsparlamente. Sind dort Entscheidungen zu treffen, müssen alle ins Vertrauen gezogen werden, in Folge der geringen Größe des Forums entkommt man nicht, von allen die Zustimmung einzuholen. Somit, so die Überlegung, werden die Menschen häufig konsultiert und sie erleben, dass sie von Nutzen, dass auch sie wichtig und anerkannt sind.

Konvergenz

Nachbarschaftsparlamente zu organisieren ist aufgrund der örtlichen Nähe der 30 Familien nicht das große Problem. Die Herausforderung ist die Nachbarschaftsparlamente aufrecht zu erhalten. Es ist schwierig, bei den Menschen im Hinblick auf diese Nachbarschaftsparlamente ein Gefühl der Eigenverantwortung, ein Zugehörigkeitsgefühl, eine Art „Wir-Gefühl“, ein „kollektive Ich“ zu erzeugen.

Diese Konvergenz wird am besten dadurch geschaffen, dass die Menschen gemeinsam Aktivitäten angehen, die von außen als Impuls für die Entwicklung gegeben werden oder sich aus einem inneren zu wendenden Leid erschließen.
Wenn die Menschen als Nachbarschaft etwas unternehmen, müssen sie prüfen, wer alle Mitglieder des Nachbarschaftsparlaments sind und wer nicht. Sie müssen ein Bild gewinnen, wer aller über welche Talente verfügt, um das Vorhaben zu erledigen, wer andere dafür hilfreiche Ressourcen besitzt. Und sie müssen sich überlegen, wie diese zur Mitwirkung gewonnen werden können. Im Laufe des Prozesses, mit all diesen Interaktionen, wächst die Nachbarschaft, das Nachbarschaftsparlament, zusammen. Je mehr Aktivitäten, Aufgaben, Rollen und Verantwortlichkeiten die Menschen in den Parlamenten erfüllen müssen, desto stärker wird ihr kollektives Ich. Je mehr das kollektive Ich einer Gemeinschaft angemessen gestärkt ist, desto mehr werden sie fordern, einbezogen zu werden.

Damit die Konvergenz erhalten bleibt, gilt es sicherzustellen, dass alles, was durch die Nachbarschaftsparlamente getan werden kann, durch sie getan wird. So haben die Menschen in den Nachbarschaftsparlamenten genügend Gründe weiterhin zusammenzukommen, Kontakte zu knüpfen, zusammenzuarbeiten und zusammenzuwachsen.

Erweiterung um zwei Basisprinzipien der Soziokratie

Die zunehmende Verbreitung des Traumes hinter den Nachbarschaftsparlamenten und deren praktischer Umsetzung brachte den Kontakt zur Soziokratie. In der Soziokratie wurde ein Weg gefunden, die in üblichen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen dominierende Herrschaft der Mehrheit zu überwinden. Die Integration zweier soziokratischer Prinzipien macht es möglich, dass bei der kollektiven Entscheidungsfindung jede Stimme gehört und ernst genommen wird und dass die Gemeinschaften mit jeder Wahl und jeder kollektiven Entscheidungsfindung weiter zusammenwachsen. (John, 2021, S.42f)

Aus der Soziokratie wurden folgende zwei Basisprinzipien aufgenommen:

Grundsatzentscheidungen mit Konsent beschließen

Die Gruppe sitzt für die kollektive Entscheidung zu einem bestimmten Problem im Kreis, eine Person ist mit der Moderation beauftragt.
Als erstes stellt die Moderation an alle in der Gruppe die Frage: „Wie verstehen Sie dieses Problem?“. Jedes Gruppenmitglied erklärt nacheinander in einer Runde, wie er oder sie das Problem sieht. Nachdem alle gesprochen haben, fragt die Moderation: „Was könnten die praktikabelsten Lösungen sein?“ Die Antworten erfolgen wieder in einer Runde. Wer einen Lösungsvorschlag hat, spricht ihn aus. Andere sagen einfach „passen“, wenn man an der Reihe ist. Dies geht in Runden so lange weiter, bis jedes Mitglied, das sprechen möchte, die Möglichkeit hat, sich angemessen zu äußern.
Dann bittet die Moderation zwei oder drei Freiwillige um die Ausarbeitung eines Vorschlags. Die Rolle dieser Feinabstimmungskräfte besteht darin, die besten Vorschläge zusammenzuführen und, vorzugsweise schriftlich, einen Vorschlag zu formulieren, mit dem jede/r in der Gruppe mitkann, entweder keinen Einwand hat oder zustimmt. Wenn die „Tuner“ den Vorschlag ausgearbeitet haben, wird der Vorschlag unter den Mitgliedern verteilt.
Die Moderation fragt zunächst, ob alle den Vorschlag verstehen oder ob sie Verständnisfragen haben. Sobald diese „Klärungsrunde“ abgeschlossen ist, fragt die Moderation, ob jemand Einwände gegen den Vorschlag hat. Ein Einspruch muss „begründet“ werden. Ein Einspruch muss zudem „schwerwiegend“ sein. Das ist dann der Fall, wenn die Fähigkeit der Gruppe, das Ziel oder den Zweck der Gruppe zu erreichen, durch den Lösungsvorschlag in Gefahr gesehen wird. Einwände werden als hilfreiche Beiträge zur Feinabstimmung und Schärfung der Vorschläge angesehen, um sie vor künftigen Fallstricken zu schützen. Daher wird den Einwänden ernsthaft zugehört und entsprechend relevante Einfügungen, Änderungen und Vorbehalte in den Vorschlag integriert.
Schließlich kommen sie zu einem Vorschlag, dem jeder zustimmen kann, da er „derzeit die beste praktikable Lösung“ darstellt. Und da es sich nur um eine vorläufige Entscheidung handelt, enthält jede solche Entscheidung auch ein Überprüfungsdatum als Bestandteil.
Nachdem der Vorschlag wie oben beschrieben überarbeitet wurde, verteilt die Moderation die geänderte Version und fragt erneut, ob jemand Einwände hat. Wenn niemand „begründete, schwerwiegende“ Einwände erhebt, feiert die Gruppe, dass sie eine Entscheidung getroffen hat. (John, 2021, S.44f)

Die Wahl der Personen für Funktionen und Aufgaben im Konsent

Die Besetzung der Funktionen des Nachbarschaftsparlaments, zB des Premierministers, läuft wie folgt ab.

Die Gruppe sitzt auch hier im Kreis, eine Person ist mit der Moderation beauftragt.
Die erste Fragerunde hier lautet: „Wie verstehen wir die Rolle des Premierministers dieses Nachbarschaftsparlaments zu diesem Zeitpunkt?“ Und die Frage für die nächste Runde: „Was für einen Menschen würden es zum jetzigen Zeitpunkt aus Ihrer Sicht brauchen, um diese Rolle zu übernehmen?“
Nach den oben genannten zwei Runden verteilt die Moderation Zettel an die Mitglieder mit der Aufforderung: „Schreiben Sie Ihren eigenen Namen oben auf den Zettel. Nehmen Sie sich dann ein paar Schweigeminuten und schreiben Sie dann unter Ihren Namen den Namen der Person, die Sie für das Amt des Premierministers vorschlagen würden.“ Die Zettel werden gesammelt und nach den vorgeschlagenen Namen geordnet. Die Moderation nimmt jeden Zettel entgegen, liest den jeweiligen Namen und dessen Vorschlag vor und fragt die jeweilige Person nach den Beweggründen für den Vorschlag. Jede/r erläutert der Gruppe öffentlich die Gründe für seinen Vorschlag.
Nachdem alle die Gründe genannt haben, erkundet die Moderation, ob eventuell Mitglieder ihren Vorschlag ändern möchten, und ersucht dies zu begründen. Danach identifiziert und schlägt die Moderation gemeinsam mit den Mitgliedern und auf Grundlage der vorgebrachten Argumente (nicht primär an der Anzahl der Stimmen) eine Person für die Rolle vor und fragt, ob es Einwände gibt. Wenn ein „begründeter schwerwiegender“ Einwand auftaucht, identifiziert die Moderation eine andere Person, wieder basierend auf der Stärke der vorgebrachten Argumente für die Person und fragt wiederum eventuelle begründete schwerwiegende Einwände ab. Wenn keine Einwände vorliegen, verkündet die Moderation: „Lasst uns feiern. Wir haben unseren Premierminister!“ (John, 2021, S.46f)

Soziokratische Nachbarschaftskreise

Gefördert von der EU “KA2 Erasmus+ Exchange of good Practice” wurde aus der Verbindung der Ansätze der Nachbarschaftsparlamente, der Soziokratischen Kreisorganisations Methode und den Gestaltungsprinzipien von „Governing the Commons“ von Elinor Ostrom das Konzept der Soziokratischen Nachbarschaftskreise entwickelt. Die Erkenntnisse stehen in einem Handbuch öffentlich zur Verfügung.
Unter anderem sehr interessant, findet sich in diesem eine Gegenüberstellung der drei zugrundeliegenden Ansätze. (Strauch/Mayrhofer, 2022, S.13f)
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Die Realität

Hinter den indischen Nachbarschaftsparlamenten steht der Traum von einer besseren Welt, die sich ergibt, sobald jeder Mensch eine Stimme bekommt und diese effektiv einbringen kann.
Die Prinzipien der Nachbarschaftsparlamente bewähren sich bei der Ermöglichung von Selbstorganisation und sind Best Practice für jegliche Initiativen zum Empowerment von Menschen und ihrer Gemeinschaften.
Der Traum von einer neuen tiefen demokratischen Ordnung erfüllt sich allerdings nicht, selbst im Ursprungsland Kerala. Die Experimente mit den Nachbarschaftsparlamenten finden zwar eine große Anzahl an passiven Gratulanten, denen stehen aber ein paar mächtige Gegner gegenüber: die Eigeninteressen von Politiker:innen, Beamt:innen, öffentlichen Auftragnehmende und auch dubiosen Elemente. Politische Parteien treten formell für die Nachbarschaftsparlamente ein, an eine Weitergabe der Macht wird aber nicht gedacht. Auf übergeordneten Ebenen werden Pläne entworfen und Institutionen geschaffen, die Übergabe von Gestaltungsmacht erfolgt nicht. (Padmanabhan S.73f)

Von den Nachbarschaftsparlamenten lässt sich für Österreich sehr viel lernen; allerdings besteht in unserer Kultur der Projektitis, dem Beschränken auf Initiativen (statt struktureller Aufbauarbeit) die große Gefahr, dass es sich nur um Maßnahmen zur Ableitung zivilgesellschaftlicher Energien handelt. Dort wo es die (Macht)Systeme nicht schmerzt, dürfen sich die Menschen engagieren (Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftskaffees, udgl.). Wirksame Mitgestaltungsrechte sind nicht angedacht.

Father John lädt die Menschen zur Bildung von Nachbarschaftsparlamenten ein, auch nur die Gründung eines solchen Parlaments wäre ein großer Beitrag zur Bewegung.
„Sehen Sie sich nur an, wer all die dreißig Familien sind, die Ihr Nachbarschaftsparlament bilden würden; Treffen Sie sie, freunden Sie sich mit ihnen an, motivieren Sie sie, bringen Sie sie dazu, sich zu treffen, wählen Sie ein paar Minister und treffen Sie sich regelmäßig. Sie haben bereits ein Nachbarschaftsparlament gebildet.“ (John, 2021, S.56)

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Quellen:

John Edwin M.: Hello, Neighbourocracy! Governance Where Everyone Has A Say, Hyderabad 2021
https://leanpub.com/helloneighbourocracy

Neighborhood Community Networks: https://ncnworld.org/

Padmanabhan P.G.: Ayalkoottam in Kumarakom as Social Capital. A Study of Ayalkoottam in Participatory Planning and Grass Roots Level. Democracy in Kuamarakom Panchayat and Its Scope of Replication
http://www.cds.ac.in/krpcds/report/Padmanabhan.pdf

Sociocracy For All: Video Interview mit Edwin M. John: Himmel auf Erden. Nachbarschafts-Parlamente in Indien, 2017
https://www.youtube.com/watch?v=D5OIi942xX8&t=19s

Soziokratiezentrum: Nachbarschafts- und Kinderparlamente in Indien und weltweit
Father Edwin Maria John, 2019
https://soziokratie-politik-kongress.at/wp-content/uploads/2019/11/Nachbarschafts_und_Kinderparlamente_Soziokratie_Politik_Kongress_2019.pdf

Strauch Barbara, Mayrhofer Rita: SoNeC - Soziokratische Nachbarschafts Kreise in Europa, Wien 2022
https://sonec.org/wp-content/uploads/SoNeC-handbook-german.pdf?mc_cid=b25a97c6fe

Why Neighbourhood Parliaments? - Global neighbourhoodization as an antidote to alienating globalization. Modules for an one-day seminar
https://ncnworld.org/wp-content/uploads/2018/08/8.Why-Neighbourhood-Parliaments.pdf