Healthy Streets

Die Gesundheit der Menschen wird maßgeblich von ihren Lebensbedingungen bestimmt. Eine dieser Lebensbedingung ist der Straßen-Raum vor der Haustür, im unmittelbaren Umfeld. Lucy Saunders hat dazu von London ausgehend das Konzept der Healthy Streets entwickelt; sie stellt ihre Erkenntnisse und Werkzeuge der Welt zur Verfügung, damit die Planenden von Straßen, aber vor allem die Anwohner:innen von Straßen diese zu ihrem Wohlergehen (mit)gestalten können.

Der Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) bot Lucy Saunders auf seiner Gesundheitsförderungskonferenz 2022 in Linz für Österreich die Bühne. Im Rahmen seiner Initiative „Aktive Mobilität“ stellt er einige der Instrumente von Lucy Saunders in deutscher Sprache für Österreich bereit, Healthy Streets zählt im Rahmenarbeitsprogramm 2024 – 2028 des FGÖ zu einen der Förderschwerpunkte.

10 Indikatoren

Eine Healthy Street, ein gesunder Straßen-Raum, lässt sich anhand von 10 evidenz-basierten Indikatoren erkennen (Healthy Streets Ltd, 2023):

  • Menschen entscheiden sich zum Gehen und Radfahren.
    Ist Zufußgehen und Radfahren bequemer, angenehmer und attraktiver als das private Auto zu nutzen?
  • Alle fühlen sich willkommen.
    Nutzen alle – insbesondere Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen – gerne diesen Raum?
  • Einfach zu überqueren.
    Trennt die Straße den Raum? Behindern materielle Hindernisse, fehlende Übergänge, zu schnell fließender Verkehr die Überquerung?
  • Menschen fühlen sich sicher.
    Dem entgegen die Art und Weise, wie sich der Autoverkehr darstellt, oder dem Erleben von unsozialem Verhalten, unerwünschter Aufmerksamkeit, Gewalt oder Einschüchterung.
  • Es gibt Dinge zu sehen und zu tun.
    Ist das Straßenumfeld visuell ansprechend, bietet es den Menschen Anlässe den Raum zu nutzen?
  • Plätze zum Verweilen und Ausruhen.
    Bietet die Straße im Verlauf regelmäßig Gelegenheiten zum Pausieren und Ausruhen?
  • Menschen fühlen sich entspannt.
    Ist der Straßen-Raum einladend und attraktiv gestaltet, damit die Menschen zu Fuß gehen, Radfahren und Zeit in ihm verbringen?
  • Nicht zu laut.
    Wie schaut es mit dem Straßenverkehrslärm aus?
  • Saubere Luft.
    Wie mit der Luftverschmutzung?
  • Schatten und Unterstände.
    Diese können viele Formen haben, zB Bäume, Säulengänge, Arkaden und Vordächer. Bieten sie Schutz vor Sonne, Regen und starkem Wind?
Assessment

Mittels des qualitativen Assessment-Instrument kann jede/r einen Straßenraum bewerten, dabei sollte der untersuchte Straßen-Raum nicht länger als 200 Meter sein (Healthy Streets Ltd, 2024, S.1). Die Arbeitshilfe bietet zu den einzelnen Indikatoren Anstoßfragen, die der Bewertung und auch der Planung von Verbesserungen dienlich sind.

Die mit den Indikatoren eingeführten Qualitätskriterien ermöglichen es den Anwohner:innen als Laien eine qualifizierte Bewertung des IST-Zustands des sie umgebenden Straßenraums vorzunehmen, befähigen sie, von der öffentlichen Verwaltung und der Politik Verbesserungen einzufordern.
Expert:innen für den Stadtraum gewinnen mit den evidenzbasierten Kriterien von Lucy Saunders eine argumentative Unterstützung, wenn sie sich gegenüber der öffentlichen Verwaltung und der Politik für mehr Qualität im öffentlichen (Straßen-)Raum einsetzen.
Die Politik und die öffentliche Verwaltung gewinnen mit dem Konzept Healthy Streets Anhalt bei der Beurteilung von Entwürfen aus dem Bau- und Straßenwesens, sie können vorab Planenden einen Rahmen vorgeben.

Partizipatives Vorgehen

Entsprechend den Grundprinzipen der Gesundheitsförderung sollte die Verbesserung der Qualität eines Straßen-Raums als Projekt unter Einbindung der Anwohner:innen und eventuell sonstiger Nutzer:innen der Straße erfolgen. So werden ihre Erfahrungen und Bedürfnisse für den Planungsprozess gewonnen, indem die Anwohner:innen (sonstige Nutzer:innen) Teil der Planung und, anzustrebend, auch tätige Mitwirkende bei der Umsetzung sind, wird es „ihr“ Straßenraum, für den sie in weiterer Folge auch Verantwortung übernehmen. Die obligatorische Projektsteuerungsgruppe könnte bereits derart entwickelt/gestaltet werden, dass in ihr nach Projektende ein Nachbarschaftskreis für den nunmehr gemeinsamen Straßen-Raum weiterlebt.

Am Anfang eines derartigen Projekts steht klassisch die Analyse des IST-Zustands (dazu bietet Healthy Streets ein Evaluation Framework), gemeinsam mit den Stakeholdern, empfehlenswert unter Beiziehung von Straßen-Raum-Expert:innen, werden Maßnahmen geplant und entschieden, der anschließenden Umsetzung folgt die Evaluation des Erreichten.

Beispiel einer vertanen Chance

Die Hans-Webersdorfer-Straße im dichtbesiedelten Salzburger Stadtteil Salzburg Süd besticht durch eine überbreite Asphaltfahrbahn, bei allerdings geringem Verkehrsaufkommen. Die Webersdorfer-Straße mündet in eine der Hauptverkehrsadern der Stadt Salzburg, führt zur Salzach zu dessen Treppelweg, kommt dabei an einem kleinen Park vorbei, das Bewohnerservice der Stadt Salzburg für den Stadtteil ist bei ihr angesiedelt.

Folgendes Google Street-View-Bild hält den tristen Zustand der Straße vor der Begrünung fest.

"Vor der Begrünung" - Google Street View, August 2022

Die Asphaltwüste dürfte der Stadt bewusst geworden sein und so wurde die Hans-Webersdorfer-Straße auch von der Initiative für mehr Grün im Straßenraum erfasst (Pressemeldung der Stadt). Wie folgendes aktuelle Bild zeigt, wurden sieben kleine (zumeist im Ausmaß halber Auto-Parkplatz) „Grün“inseln geschaffen und sechs kleinwüchsige Bäume gepflanzt. Von den rd. acht Meter Breite der Asphaltstraßen wurden, stellenweise, gerade mal rd. 1,5 m  in Anspruch genommen.

"Nach der Begrünung" - Eigene Aufnahme, Juli 2024

Was hier versäumt wurde, zeigt der Blick auf die 10 Indikatoren einer Healthy Street:

  • Menschen entscheiden sich zum Gehen und Radfahren.
    • Zur Förderung der Attraktivität für die Fußgänger wurde nichts getan.
      Für Radfahrer ist die gut asphaltierte breite Straße angenehm zu befahren, bei einbiegenden Querstraßen muss jedoch weiterhin besonderes geachtet werden.
      Eine Beschattung für Fußgänger und/oder Fußgänger wird es mit den gepflanzten kleinwüchsigen Bäumen nicht geben.
  • Alle fühlen sich willkommen.
    • An der Ausstrahlung der Straße als Asphaltwüste hat sich nichts geändert. Eine Aufenthaltsqualität wurde nicht ansatzweise geschaffen.
  • Einfach zu überqueren.
    • Die Straße ist rd. 8 m breit, die geschaffenen „Grün“inseln sind nicht begehbar. Es bleibt die Distanz von 8 m, eine Herausforderung für einen nicht mehr so mobilen Menschen.
  • Menschen fühlen sich sicher.
    • Die Straße ist und war gut beleuchtet. Eine Laterne wurde auf die andere Straßenseite verlegt, die Ecke beim Bewohnerservice wird nunmehr besser ausgeleuchtet.
      Kriminalität ist kein Thema.
  • Es gibt Dinge zu sehen und zu tun.
    • Zu sehen und zu tun gab und gibt es kaum etwas, das Bewohnerservice, eigentlich gedacht auch als Treffpunkt für die Bewohner:innen, gewann keinerlei Platz in den Straßenraum hinein. Statt Tische zum Zusammensitzen blieben Parkplätze vor dem Eingang.
  • Plätze zum Verweilen und Ausruhen.
    • Es wurden sieben „Grün“inseln geschaffen und sechs kleinwüchsige Bäume gepflanzt. Die Gehsteige wurden nicht verbreitert, noch wurden von der Fahrbahn Flächen abgezweigt und auf Trottoire-Niveau angehoben, sodass man abseits des Gehweges sich zusammenstellen kann.
      Sitzgelegenheiten gab es nicht, es wurden keine geschaffen.
  • Menschen fühlen sich entspannt.
    • Auf und entlang der Straße lauern keine Gefahren. Die Ausstrahlung des Ortes war und ist für nicht motorisierte Menschen negativ, auf einer reinen Verkehrsfläche ist keine Entspannung zu finden.
  • Nicht zu laut / Saubere Luft
    • Die Lärmbelastung war schon zuvor nicht übermäßig,
      auch die Luftqualität war und ist kein Defizit.
  • Schatten und Unterstände.
    • Die kleinwüchsigen Bäume werden, auch wenn sie an- und ausgewachsen sind, keine Schatten zum Aufenthalt unter ihnen spenden.
      Unterstände wurde keine geschaffen.

Die Begrünung der Webersdorfer-Straße belegt die von der öffentlichen Hand und der Politik nicht ergriffene Chance. Ohne großen Aufwand, ohne den Verkehr einschränken zu müssen, Parkplätze zu reduzieren, hätte die Straße viel an Qualität gewinnen können. Optimal wäre dies unter Einbeziehung der Bewohner:innen geschehen.
Allerdings scheint es nicht nur am Bewusstsein der öffentlichen Verwaltung und der Politik zu mangeln. Im Rahmen des Projekts „Umsorgende Gemeinschaft“ wurden alte Menschen, die ständig das Bewohnerservices besuchen, befragt, was sie an ihrem Stattteil ändern möchten. Sie zeigten sich überwiegend sehr zufrieden, die vertane Chance in der Webersdorfer-Straße direkt vor der Tür war kein Thema.

 

 

Quellen

Feigl Agnes: Healthy Streets Einführung, 2024
Anwendung und Beispiele zum Healthy Streets Ansatz
https://aktive-mobilitaet.at/sites/aktive-mobilitaet.at/files/2024-03/Präsentation_Einführung Healthy Streets_0.pdf

FGÖ: Bausteine für ein Healthy Streets Projekt
https://aktive-mobilitaet.at/sites/aktive-mobilitaet.at/files/2024-03/Bausteine für ein Healthy Streets Projekt.pdf

Healthy Streets Ltd: Healthy Streets Qualitative Bewertung, 2023
https://static1.squarespace.com/static/6048ed6105c2155a63b0c831/t/6544afb9540c655dcda99a55/1699000254808/Healthy+Streets+Qualitative+Bewertung_2023.pdf

Healthy Streets Ltd: Healthy Streets checklist for new developments, 2024
https://static1.squarespace.com/static/6048ed6105c2155a63b0c831/t/665ede36553231044b018d0d/1717493311468/Healthy+Streets+Checklist+for+new+developments+May+2024.pdf

Saunders Lucy: Homepage Healthy Streets
https://www.healthystreets.com/

Saunders Lucy, Healthy streets, Vortrag auf Gesundheitsförderungstagung FGÖ 2022
https://www.youtube.com/watch?v=sjoG4cU4M_M